Die EN 50160 hat im deutschsprachigen Raum einen höheren Stellenwert, als ihr eigentlich zusteht. Der Begriff wird oft als Synonym für alle Fragen der Spannungsqualität verwendet, was immer wieder zu Missverständnissen führt. In diesem Artikel möchte ich aufzeigen, welche Bedeutung die EN 50160 in der Praxis hat und welche weiteren Normen und Standards für die jeweiligen Netznutzer von Interesse sind.

Wie bereits im Artikel Produktqualität „Spannung“ nach EN 50160 ausführlich erläutert, beschreibt diese Norm lediglich die Qualitätskriterien der elektrischen Spannung für den Verbraucher, der gemäß ELWOG (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz) im liberalisierten Strommarkt seinen Energielieferanten frei wählen kann und damit einen Liefervertrag für das Produkt/die Dienstleistung „Elektrische Energie“ abschließt und damit eine bestimmte Qualität erwarten kann.

Gesetze und Verordnungen:

Bedeutung für den Endkunden

Auf formaler Ebene ist durch die gesetzlichen Vorgaben (und die entsprechenden Maßnahmen des Netzbetreibers) sichergestellt, dass der Verbraucher die zugesicherte Qualität der gelieferten elektrischen Energie erwarten kann.

Im Normalfall ist kein spezielles Monitoring vorgesehen und der Kunde bemerkt oft nicht, wenn die Spannungsqualität sinkt. Eine Ausnahme bilden Spannungseinbrüche oder -unterbrechungen. Diese bemerkt der Kunde durch den kurzzeitigen Ausfall diverser Geräte oder den kompletten Ausfall für eine gewisse Zeit. Viele andere Phänomene werden durch den mehrfachen Einsatz von Weitbereichsnetzgeräten kompensiert. Langfristig problematisch können Oberschwingungen sein, die unter Umständen zu einer schnelleren Alterung von elektronischen Geräten führen können.

Erst wenn gravierende Probleme mit Geräten auftreten (z.B. häufige Ausfälle, Defekte etc.), wenden sich die Kunden an den Netzbetreiber und fordern eine Untersuchung, die dann zu einer anlassbezogenen Überwachung führen kann.

Generell kann gesagt werden, dass der Endverbraucher mit dem Thema Spannungsqualität (abgesehen von Ausfällen) kaum in Berührung kommt und dies eine Aufgabe des Netzbetreibers ist.

Bedeutung für den Großverbraucher

Für Großverbraucher, insbesondere im produzierenden Gewerbe, spielt die Spannungsqualität eine wesentlich größere Rolle. Hinzu kommt, dass einige Netzbetreiber eine Begrenzung der Emissionen fordern, die letztlich zu einer Verschlechterung der Spannungsqualität führen. D.h. hier haben beide Seiten ein großes Interesse an qualitätssichernden Maßnahmen.

Aus Sicht des Unternehmens, das den Strom bezieht, ist es wichtig, dass der gewünschte Arbeitsablauf nicht beeinträchtigt wird. Das bedeutet, dass die Spannungsversorgung so gut sein muss, dass es zu keinem Ausfall von Produktionsanlagen oder anderen Geräten kommen kann. Schon eine kurze Störung in der Spannungsversorgung kann zu einem Totalausfall der Produktion führen, wenn eine Schlüsselkomponente betroffen ist. Das kann zum einen sein, dass zu hohe Oberschwingungen zum Ausfall eines Netzgerätes führen, eine elektrische Maschine überhitzt oder eine kurze Unterbrechung zur Notabschaltung einer Produktionslinie führt. Oft ist die Ursache nicht sofort erkennbar und eine Untersuchung des Fehlerverlaufs nicht aufschlussreich. Hierzu ist eine umfassende Überwachung an den neuralgischen Punkten notwendig, die heute in modernen Anlagen bereits Stand der Technik ist.

Dieses Wissen über den aktuellen Zustand des elektrischen Versorgungssystems ist sehr wichtig, wenn man mit dem Netzbetreiber über Schadenersatz bzw. Klärung der Schuldfrage sprechen oder generell mit ihm an einer Verbesserung des Systems arbeiten möchte.

Wird eine permanente Überwachung mit Bewertung nach EN 50160 durchgeführt, kann dies dazu führen, dass schleichende Verschlechterungen erkannt werden und rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden können. Wenn sich z.B. in der Nachbarschaft ein neuer Industriebetrieb angesiedelt hat und dieser die Qualitätssituation merklich verschlechtert, hat man entsprechende Zeitreihen und kann diese Veränderungen (mit der zeitlichen Korrelation) auch nachweisen.

Bedeutung für den Netzbetreiber

Die größte Bedeutung hat die EN 50160 für den Netzbetreiber. Dies ist schon deshalb naheliegend, da er die Hauptverantwortung für die Versorgung des Kunden mit elektrischer Energie trägt, die eben diesen Qualitätsstandards entspricht. In Österreich (und der Schweiz) ist zusätzlich geregelt (NetzdienstleistungsVO Strom 2012 §14), in welchem Umfang und in welcher Art und Weise die regelmäßige Überwachung zu erfolgen hat. Dort ist festgelegt, wie viele Messstellen pro Jahr zufällig ausgewählt und dann mit temporären Messeinrichtungen überprüft werden müssen.

Darüber hinaus betreiben viele Netzbetreiber ein Langzeitmonitoring an neuralgischen Netzknoten, um die Spannungsqualität jederzeit im Blick zu haben. Aufgrund der derzeit noch relativ aufwändigen Technik wird nur ein Bruchteil des Stromnetzes permanent überwacht, ergänzt durch die gesetzlich vorgeschriebenen punktuellen Messungen. Darüber hinaus ist der Netzbetreiber auch verpflichtet, bei Störungen oder anderen Problemen, die von Kunden gemeldet werden, begleitende Messungen durchzuführen.

Als Ergebnis einer Spannungsqualitätsmessung wird in der Regel ein Bericht erstellt, der die Messdatenreihe mit den geltenden Grenzwerten vergleicht und Abweichungen dokumentiert. Dieser Bericht wird häufig als EN 50160-Bericht bezeichnet.

Wenn größere Abweichungen festgestellt werden, sollte der Netzbetreiber Maßnahmen ergreifen, um diese zu beseitigen. Dies kann z.B. ein Problem mit der Spannungshöhe sein, dann muss evtl. die Leitung verbessert, der Transformator optimiert oder auch eine entsprechende Kompensation installiert werden.

Weitere wichtige Standards und Richtlinien

Im Zusammenhang mit der Spannungsqualität und deren Einhaltung sind zahlreiche weitere Vorschriften und Richtlinien zu beachten. Hier ein kurzer Überblick:

Technische Anschlussrichtlinien (TOR): Allgemeine Richtlinien des Regulators für den Anschluss. Hier ist geregelt, wann und wie der Netzbetreiber über Betriebsmittel zu informieren ist und welche besonderen Bestimmungen jeweils zu beachten sind.

Darüber hinaus gelten vor allem für Hersteller von Geräten und Produkten, die an das Stromnetz angeschlossen werden, entsprechende Normen:

  • EN 61000-3-2 sowie –3-12: Oberschwingungsströme
  • EN 61000-3-3 sowie –3-11: Spannungsschwankungen
  • VDE AR 4105, FGW-TR3, EN 61400-21-1: Erzeuger mit fluktuierender Bereitstellung

In einer nächsten Ausgabe zu EN 50160 wird es um die praktische Anwendung gehen sowie die Auswertung und das Reporting.

Ich hoffe, euch hat der Artikel gefallen. Anregungen und Wünsche gerne an info@pqopen.com