Charakteristische Spannungsschwankungen – was steckt dahinter?

Die verborgene Symphonie der Industrie und ihr Echo im Stromnetz

Seit Beginn meiner Messungen mit dem Messsystem PQopen im Jahr 2020, bei denen ich erstmals auch Spannungsschwankungen (ugs. Flicker) erfasst habe, sind mir periodische Schwankungen dieses Parameters aufgefallen. Immer wieder versuchte ich herauszufinden, welche Ursache diese Schwankungen haben könnten und ob sie nur im lokalen Netzbereich eine Rolle spielen oder sich räumlich weiter ausbreiten. Nachdem ich mit einem zweiten Messgerät in über 30 km Entfernung die gleichen Muster erkennen konnte, war mir klar, dass die Ursache ein industrieller Großverbraucher im 110 kV-Netz sein musste.

Lasst uns gemeinsam schauen, welchen zeitlichen Verlauf die Spannungsschwankungen haben und welche Charakteristika dahinter stecken. Ob wir herausfinden können, um welche Industrieanlage es sich handelt?

Langzeitflicker (Plt)

Der Langzeitflicker charakterisiert die Intensität der Spannungsschwankungen über einen längeren Zeitraum. Er wird aus dem kubischen Mittel von 12 10min-Messwerten des Kurzzeitflickers (Pst) gebildet, d.h. es ergibt sich eine Zeitreihe mit einem Wert je 2h.

Trägt man nun diese Werte für ein ganzes Jahr auf, so erhält man z.B. für 2023 diesen Verlauf:

Daraus lassen sich bereits einige Charakteristika ablesen:

  • ausgeprägte Periodizität (vermutlich wöchentlich)
  • zwei längere Pausen (1x im Sommer, 1x im Winter)
  • zufällige Ausschläge über den Wert 1 (das sind andere Ereignisse, die hier nicht weiter betrachtet werden)

Kurzzeitflicker (Pst)

Schauen wir uns die Daten nun etwas genauer an. Nehmen wir einen beliebigen Monat und schauen uns den zeitlichen Verlauf des Kurzzeitflickers (Pst) an. Dieser wird nach IEC 61000-4-15 berechnet und ist ein statistischer Wert, der alle 10 Minuten ermittelt wird.

Wie vermutet, liegt eine Periodizität von einer Woche vor. Die Zeiten mit niedrigen Werten sind immer Sonntags. Auffällig ist auch, dass die Werte stark schwanken und immer wieder zwischen den Werten 0,2 und 1 wechseln. Schauen wir uns das genauer an:

Wir sehen, dass periodische Schwankungen innerhalb eines Tages auftreten, aber die Auflösung der Daten erlaubt keine detaillierte Analyse. Glücklicherweise gibt es andere Parameter, die dieses Phänomen ebenso zeigen und in höherer Auflösung zur Verfügung stehen: Interharmonische Spannungsanteile

Interharmonische Spannung (IH)

Die interharmonischen Spannungsanteile sind im Gegensatz zu den Harmonischen nicht auf Verzerrungen durch die Netzfrequenz zurückzuführen. Sie beschreiben die Frequenzanteile, die keinen ganzzahligen Teiler zur Grundschwingungsfrequenz haben. Die Berechnungsvorschrift ist in IEC 61000-4-7 angegeben.
Treten im niederfrequenten Bereich (<100 Hz) interharmonische Anteile auf, so hat dies auch Auswirkungen auf den Flickerwert, da dieser sehr empfindlich auf niederfrequente Spannungsänderungen reagiert. Betrachten wir daher die interharmonischen Werte mit Index 1 und 2 näher:

Wie man sieht, korreliert die Intensität dieser beiden Parameter mit dem Kurzzeitflicker von oben. Da diese Parameter in einer höheren zeitlichen Auflösung vorliegen, können wir weiter ins Detail gehen:

Das sieht sehr interessant aus! Es ist noch ein weiteres Muster zu erkennen, nämlich eine sich wiederholende Abfolge eines bestimmten Profils.
Die Dauer eines solchen Zyklus beträgt ca. 25 Minuten mit Pausen von jeweils ca. 10 Minuten. Auch innerhalb eines Zyklus sind immer wieder drei charakteristische „Buckel“ zu erkennen.

Suche nach den Verursachern

Die Suche nach dem Verursacher dieser Spannungsschwankungen gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Ohne Indizien und Vermutungen wäre die Lösung des Rätsels kaum möglich.

Zufällig wohne ich in der Nähe der Grazer Marienhütte, einem großen Stahlwerk mitten in der Stadt. Diese ist bekannt für ihren großen Lichtbogenschmelzofen. Am Wochenende, wenn das Werk stillsteht (von außen gut sichtbar, da keine Lärm- und Luftemissionen), gibt es diese Spannungsphänomene nicht, sondern nur, wenn das Werk in Betrieb ist. Auch die Betriebsferien stimmen mit diesen Zeiten überein.

Eine Recherche über Elektrolichtbogenöfen und deren Einfluss auf das Stromnetz brachte dann Klarheit: Es muss sich um diese Anlage handeln. In einer Veröffentlichung von Olczykowski 1 ist folgender Verlauf des Kurzzeitflickers dargestellt:

Kurzzeitflicker eines Schmelzzyklus (https://www.mdpi.com/2076-3417/11/7/3056)

Lösung

Es scheint nun klar zu sein, dass es sich um ein Stahlwerk mit Elektrolichtbogenofen handeln muss, der die Spannungsschwankungen verursacht. Durch die räumliche Nähe zur Marienhütte (ein weiteres Elektrostahlwerk in der Steiermark befindet sich in Kapfenberg) kommt eigentlich nur dieses in Frage.

Es ist erstaunlich, welche Auswirkungen ein solches Werk auf das Stromnetz hat und wie weitreichend diese sind. Zur Veranschaulichung ist hier noch der Verlauf des Plt einer anderen Messstelle, ca. 30 km von Graz entfernt, dargestellt:

Hier sind zwar aufgrund des ländlichen Charakters mehr Ausschläge zu sehen, aber der Grundpegel zeigt die gleiche Systematik wie in Graz gemessen.

Fazit

Die Reise durch die Welt der Spannungsschwankungen offenbart ein faszinierendes Zusammenspiel zwischen Industrie und Energieversorgung. Die Messungen zeigen eindrucksvoll, wie ein einzelner industrieller Großverbraucher, wie die Marienhütte mit ihrem Elektrolichtbogenofen, das Netz bis in weite Entfernungen beeinflussen kann. Dieser Fall illustriert eindrücklich, dass unsere moderne Infrastruktur eine komplexe und sensible Balance darstellt.

Es ist erstaunlich, dass die Effekte eines einzelnen Stahlwerks so weitreichende Auswirkungen haben können. Dies zeigt die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überwachung und Analyse des Stromnetzes, um die Qualität und Stabilität der Energieversorgung zu gewährleisten.

Danke fürs Interesse. Wenn euch der Artikel gefällt, lasst doch einen Kommentar hier oder schreibt mich persönlich an. Bis demnächst!

  1. Olczykowski, Z. Modeling of Voltage Fluctuations Generated by Arc Furnaces. Appl. Sci. 2021, 11, 3056. https://doi.org/10.3390/app11073056 ↩︎

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